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Meine Kosmetikerin: Wie das schon klingt!


Nach einer Art Notdienst für schlimme Dinge, die man alleine nicht mehr loswird. Klar, wovon die Rede ist. In jedem Fall behält man es lieber für sich, wenn man zu ihr geht.



Beschreibung / Details


Den Termin bei der Kosmetikerin behält man meist deshalb lieber für sich, weil man befürchtet, beim Gegenüber unästhetische Assoziationen freizusetzen.

Oder noch schlimmer: Sich vorwerfen lassen zu müssen, man sei eitel und oberflächlich. Alles unzutreffend. Der Grund, warum wir zur Kosmetikerin gehen, liegt tiefer in uns verankert als wir ahnen. Zum Beweis machen wir jetzt eine psychotherapeutische Übung. Genannt: Katathymes Bilderleben. Keine Sorge, dass ist eine bewährte Technik, die normalerweise nur von Profis durchgeführt wird. So wie die Kosmetikerin nicht einfach cremt, sondern "die Haut vorbereitet". Heute wagen wir uns mal alleine dran, wird schon keine Folgen haben. Schließlich geht es bei dieser Methode nur darum, an die tieferen Schichten des Unterbewusstseins zu gelangen, um verdrängtes Material wiederzugewinnen. So, wie die Fruchtsäure die alte Haut wegätzt.

Die Voraussetzung ist - wie bei der Kosmetikerin - die körperlich entspannte Haltung im Sitzen oder Liegen, natürlich auch mit geschlossenen Augen. Wir atmen ruhig ein und aus, die Arme und Beine werden schwer, die Gedanken verebben nach und nach. Wir sitzen dicht beieinander, uns kann nichts passieren. Um die visionäre Imagination anzuregen, schlage ich nun ein Schlüsselwort vor: Gesichtshaut! Lassen wir den Begriff auf uns wirken. Gesichtshaut. Unsere Pupillen kreisen unruhig unter den geschlossenen Lidern. Dann spüren wir etwas in uns aufsteigen. Eine tiefe Traurigkeit. Wir haben uns genau vor Augen. Als grienenden Säugling, mit einer rosa Haut wie gepudertes Marzipan. Das morgendliche Licht dringt diffus durch die wehende Gardine. Die Mutter hält uns sicher im Arm, wir glucksen vor Freude. Diese Innigkeit ist lange her und kommt nicht wieder. Mutters Lächeln im einfallenden Sonnenlicht. Ihr Leben war schon zu einem guten Teil vorüber, unseres fing gerade erst an. Nun sind auch wir älter geworden, und noch schlimmer ist: Man sieht es uns an. Doch das, was daran belastet, ist nicht nur der Verlust der jugendlichen Schönheit, vielmehr der Abschied von der Kindheit, der Jugend. Man will zurück zu dem, was Heimat, Reinheit, Geborgenheit bedeutete. Das geht nur in der Erinnerung - um so schmerzhafter, voller Sehnsucht ist die Gegenwart. Die Zukunft wird noch härter. Gäbe es nicht die Kosmetikerin, die einen diesen endlichen Gang begleitet und erleichtert. Natürlich nicht irgendeine. Man muss schon ein bisschen ausprobieren, um die Richtige herauszufiltern. Hat man sie gefunden, bleibt man ihr treu bis ans Lebensende. Sie zeichnet sich nicht durch die perfekte Umgebung aus, sondern durch beruhigende Überlegenheit - speziell den Zeichen des Alters gegenüber. Sie hat keine schmucke Praxis, sondern selbstbewusst ein Separee im eigenen Heim. Wie Frau Gerlach in Berlin Weißensee. Zwischen abbruchreifen Wohnsilos, hinter einer grauen, unscheinbaren Fassade, zaubert sie welke Haut wieder munter. Vor dem Haus rattert die Tram über die Schienen im Kopfsteinpflaster, auf den Gehwegen ist kaum etwas los, wenn dann schlurfen gebeugte Leute, mit Plastiktüten.

Am Ende der Straße gibt es einen Imbissstand in Form und Farben eines Fliegenpilzes. Hier herrscht Stillstand. Das ist auch nicht besser. Doch sobald Frau Gerlach die dunkle Eingangstür öffnet, eröffnet sie eine tröstende, lichte Welt. Der weißgeflieste lange Hausflur erinnert an den gleißend hellen Tunnel, sie trägt einen Krankenschwesterkittel, auf dessen Rücken in goldener Paillettenschrift "Kosmetik" steht. Frau Gerlach lächelt. Ihr Alter ist kaum schätzbar, irgendetwas zwischen 50 und 60. Das schafft Vertrauen - jemand mit Lebenserfahrung ist immer gut. Da fühlt man sich gleich verstanden. Nach rechts geht es ins kleine lachsfarbene Behandlungszimmer, in dessen Mitte ein großer frotteebezogener Behandlungsstuhl steht. In den Vitrinen Fläschchen von MSB. "Das ist Kosmetik am Rand zu Medizin". Frau Gerlachs Stimme ist weich, gleichzeitig bestimmend, eben wie die einer Mutter. Begibt man sich in ihre Hände, hat man selbst nicht mehr viel zu tun - "Einfach nur entspannen." Draußen rattert wieder eine Tram durch die staubige Sonne. Hier drinnen sind die Jalousien heruntergelassen, der Tag ist durch ihre Ritzen nur noch zu erahnen.

Frau Gerlach stopft die Decke fest um den Körper ihrer Kundin, schon fühlt man sich geborgen. Im einschläferndem Dämmer spielt beruhigende Musik. Die Zimmerdecke ist holzverkleidet. Man schließt die Augen, anfänglich lauscht man noch den Geräuschen: Das Knistern ihres Kittels, das Wasserplätschern im Bedampfungsgerät, das Klicken des Lichtschalters am Vergrößerungsglas, das Surren der kleinen Massagebürste. Schließlich die erste Berührung ihrer Hände, sie streichen übers Gesicht. Die Gedanken brechen sich in verschiedene Richtungen, in dieser Ruhe versucht man, zu sortieren. Irgendwann gibt man es auf, liegt einfach nur da, lässt alles mit sich geschehen. Selten existiert man so, mit geschlossenen Augen, tief in sich versunken. Ganz auf sich beschränkt, in sich gehend. Besonders dann, wenn die 40 minütige Gesichtsmassage beginnt. Noch versucht man, wach zu bleiben - es kann nicht gelingen. Nach ein paar Minuten entschwindet man hilflos in knetgummiartige Tiefen, erwacht erst wieder, wenn Frau Gerlach sagt: "So, das war´s." In diesem Raum gibt man die erwachsene Verantwortung ab, weil sie keine Bedeutung mehr hat.

Frau Gerlachs Anwesenheit beruhigt, sie vermittelt eine Weisheit, die sich natürlich zuletzt auf die Gesichtshaut bezieht. Doch all das, was man zu bestehen hat, zeichnet sich nun mal auf ihr ab. Von dieser Patina, diesen Spuren befreit Frau Gerlach, trägt sie ab, spült sie fort. Weg ist der Belag, der so schwer erscheint, zurück bleibt eine rosige atmende Haut - die scheinbar kein Gedächtnis hat. Wie ein Baby. Unbeschwert, frei, nichts böses ahnend. Man tritt hinaus, draußen scheint die Sonne auf die stille Straße. Ich sehe an mir hinunter, am Knie klebt ein Pflaster. Wissen Sie noch, wie es in der Kindheit war, beim Laufen hinzufallen?

Alexa Hennig von Lange ist Schriftstellerin. Ihr neuer Roman "Warum so traurig?" erscheint am 23. September bei Rowohlt


Quelle: Alexa Hennig von Lange 11/2005 - Welt am Sonntag

Infos:

Rubrik: Sonstiges
Zielgruppe: Alle
Presse-Nr.: N101

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Suchbegriffe / Tags: Kosmetikerin, Vorurteile, kosmetische Behandlung, Alexa Lange