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01.01.2005 - Glatt gelogen!


Dermatologikum Hamburg, Oktober 2004. Professor Volker Steinkraus führt seine neue Produktlinie ein SBT. Das Kürzel steht für "Skin Biology Therapy", und die ist das Produkt einer Firmenkooperation zwischen Steinkraus und der Juvena/La Prairie-Group



Beschreibung / Details


Hält Kosmetik was sie verspricht?

Dermatologikum Hamburg, Oktober 2004. Professor Volker Steinkraus führt seine neue Produktlinie ein SBT. Das Kürzel steht für "Skin Biology Therapy", und die ist das Produkt einer Firmenkooperation zwischen Steinkraus und der Juvena / La Prairie-Gruppe in Zürich (einer Tochterfirma der Beiersdorf AG). SBT ist Medizin, verrührt mit Eleganz. Der Professor trägt Krawatte, Button-down-Kragen und mattsilberne, champignonkopfgroße Arztkittelknöpfe. Zur Präsentation gibt es schilfgrüne Zuckerbonbons, schlammgrüne Pfefferminztaler und grasgrüne Frischkräuter im Wasserkrug. Die Cremes ruhen in lindgrünen Spendern mit glänzenden Silberelementen und Hologramm.

Auf die Medieneinführung legt man mindestens so viel Wert wie auf die Verpackung. Beauty-Redakteure werden einzeln eingeladen. Drei Journalistinnen auf drei SBT-Vertreterinnen, das ist das übliche Verhältnis. Professor Steinkraus zählt extra.

Das Interview mit dem Hautarzt findet in der Bibliothek seines Dermatologikums statt. Das alte Ledersofa ist hier das einzige, was Falten haben darf.

Nicht nur von ihm. Die gesamte weibliche Bevölkerung der nördlichen Hemisphäre (und zunehmend auch die Männerwelt) leidet unter dem Anti-Falten-Wahn. Es geht um den praktisch aussichtlosen Kampf gegen ein Phänomen, das jeden von uns früher oder später befällt: Spätestens ab Mitte 20 produziert die menschliche Oberhaut weniger Hautzellen, sie wird dünner, und Schadstoffe dringen ein. Die darunter liegende Lederhaut speichert immer weniger Feuchtigkeit, die Collagenfasern versteifen sich, und auch die Hyaluronsäure, die in der Haut Wasser bindet, wird weniger. Die Folge: Die Haut wird trocken, schlaff, faltig.

Der Handelsverband der Kosmetikindustrie schätz allein den europäischen Markt für Hautcremes auf fast 10 Milliarden Euro, die größte Zuwachsrate hat das Segment Anti-Aging. Es gibt spezielle Cremes für den Tag und die Nacht, für den Körper, das Gesicht, die Augen. Dekolleté, Oberschenkel. Lippen. Es gibt Kosmetik, die schuppt, nährt, fettet, pflegt.

Aber wirkt das alles ? Die Industrie behauptet: ja. Und nicht immer steht jemand wie Professor Steinkraus hinter den Produkten, der alle überflüssigen Ingredienzien mit dem Bannstrahl der Verachtung versieht - Konservierungsstoffe: Nur so wenige wie möglich. UV-Filter: nur, wenn man vor hat, das Gesicht auch wirklich in die Sonne zu halten. Silikon bitte gar nicht, auch wenn es ein wunderbar sahniges Creme-Gefühl macht.

Vor allem die großen Hersteller versuchen, ihre Versprechungen mit wissenschaftlichen oder zumindest wissenschaftlich klingenden Daten zu belegen. Die Luxusmarke Dior versichert bei regelmäßiger Nutzung von Capture R60/80: "Bis zu 60 Prozent Faltenreduktion nach einer Stunde, bis zu 80 Prozent jugendlicheres Aussehen nach einem Monat. "Vichy verspricht in einer "kosmetoklinischen Studie" mit ihrer rehydratisierenden Körpermilch Lipidiose 1 " einen Rückgang des Trockenheitsgrades der Haut um 116 Prozent und eine 64-prozentig anhaltende Wirkung.

"Spannungsgefühle" gehen um 25 Prozent zurück, "Rauheit" reduziert sich um 44 Prozent, und "Streifen" an den Beinen verringern sich gar um 46 Prozent. Fast um die Hälfte weniger Streifen - heißt das: Beinahe jeder zweite Streifen verschwindet ? Oder sieht man jeden Streifen nur halb so stark ? Und wie, bitte, wirkt sich ein Trockenheitsrückgang von 116 Prozent aus ? Hinterlässt man dann schon feuchte Flecken auf der Sitzfläche ?

Das hat mit Wissenschaft nicht zu tun, sagt Hans-Herrmann Dubben vom Universitätsklinikum Hamburg. Das ist ein Werbeprospekt, der kaum relevante Information enthält. Stattdessen unfreiwillige Komik, findet Dubben. Der Effekt der Körpermilch wird mit dem Mikroskop nachgewiesen. Soweit ich weiß, ist dies keine sehr alltägliche Methode zur Betrachtung von Frauenbeinen. Es liegt der Schluss nahe, dass der gemessene Effekt im Alltag nicht auffällt. Außerdem wird der Trockenheitsgrad auf einer Skala von null bis vier gemessen. In dem Prospekt ginge er jedoch um 116 Prozent zurück. Ist dann am Ende durch wundersame Kapriolen des Dreisatzes der Trockenheitsgrad doch unter null ? Oder war es die Null, die diese Studie aufgeschrieben hat ?

Dubben kennt sich aus mit wissenschaftlichen Studien. Gemeinsam mit seinem Kollegen Hans-Peter Beck-Bornholdt hat er schon manche medizinische Arbeit als statistisch unhaltbar entlarvt. (nachzulesen unter anderem in dem Buch Der Hund, der Eier legt). Und so hegt er auch große Zweifel an der Aussagekraft der Vichy-Studie, die den seriös klingenden Titel "klinisch" trägt. 16 Frauen haben an ihr teilgenommen. Drei Wochen lang schmierten sie sich zweimal täglich ein. Das Ergebnis wurde per Videomikroskopie in achtfacher Vergrößerung festgehalten.

Für eine medizinisch relevante Studie, erläutert Dubben, brauchte man hingegen mindestens 200 Testpersonen, sagen wir im Alter von 30 Jahren. Die eine Hälfte cremt ihre Beine mit dem zu testenden Produkt, die andere mit einer Placebocreme ein. Keine der Teilnehmerinnen wüsste, welches Produkt sie benutzt, alle müssten sich verpflichten, kein anderes zu verwenden. Der Test liefe 20 Jahre, und wenn die Frauen 50 seien, schaue man nach, wer glatte Haut habe und wessen Beine an Brautäpfel erinnerten. Erst wenn in diesem Test eine eindeutige Überlegenheit des Testprodukts festzustellen wäre, könnte man behaupten:

Diese Creme wirkt !

Die Beierdorf AG (Nivea) wirbt seit 2003 mit der Wirkung einer ihrer Vitamin-C -Cremes: Nach einer Vierwöchigen Anwendung sei "die innere Hautstruktur" um zehn Jahre verjüngt". Sprachlich penibel und achtsam formuliert: "innere Hautstruktur". Nun ist nichts gegen Vitamin C in Hautkosmetik einzuwenden, aber vor allem verdankt die Firma Beiersdorf dieses sensationelle Ergebnis einem Mikroskop, das seit dem Jahr 2000 eingesetzt wird: Mit Hilfe dieses Gerätes kann man die Anzahl der verbindenden, feinen LEISTEN (Papillen) zwischen Lederhaut und Oberhaut besonders gut messen. Doch das sei ohne Bedeutung, sagen Fachleute. Diese faltenförmigen Leisten sind nur rund einen Hunderstelmillimeter tief und mit dem bloßen Auge nicht zu erkennen. Sichtbare Runzeln sind mindestens 30-mal so tief und lasen sich nicht wegcremen.

Die bittere Wahrheit über die Anti-Falten-Kosmetik lautet also: Sie wirkt nicht, jedenfalls nicht in dem versprochenen Sinne, dass die Kundin nachher tatsächlich jünger aussieht. Laut Lebensmittelgesetzt, Paragraph 4, "Kosmetische Mittel", darf Kosmetik aber auch nur reinigen, parfümieren und pflegen. Alles was "Körperschäden" lindern oder beseitigen kann, wäre bereits ein Arzneimittel. Und dafür gelten viel strengere Richtlinien, unter anderem wäre es dann nicht frei verkäuflich und brauchte eine Zulassung.

Gleichwohl: Die Verbraucher stört das nicht. Der Markt der Kosmetikprodukte boomt wie kaum ein zweiter. 2003 wurden weltweit 177 Milliarden Euro für Gesichtspflegeprodukte ausgegeben, in Deutschland waren es 730 Millionen. Geld, das sich Raucher übrigens gleich sparen könnten. Rauchen ist so schädlich für die Haut, dass man sich jede Creme genau so gut in die Haare schmieren könnte. Marktforscher sagen für das Kosmetiksegment immer noch ein jährliches Wachstum von 8,5 Prozent voraus. In schwierigen Zeiten sparen die Leute am Auto, nicht an der Schönheitspflege, sagt Lindsay Owen-Jones, Vorstandsvorsitzender von L'Oréal. Herr Owen-Jones ist Europas best bezahlter Manager.

Dieser Umsatz braucht immer neue Produkte. Nivea hat 2004 zwei "Neulancierungen" auf dem Markt gebracht, Anti-Aging, nur für Frauen . Dazu kommen noch 16 Relaunches mit lediglich neuer Verpackung oder veränderter Rezeptur. 73 altbewährte Produkte hat man ohnehin im Programm.

Faltenträger wollen keine Falten. Vor allem aber wollen sie ein Ritual für Selbstliebe und Kontemplation. Wer das albern findet, weiß nicht, wie gut Muße das Immunsystem stabilisiert. Auch wenn es nur Badezimmerminutenmuße ist.

Die Industrie zumindest findet das kein bisschen lächerlich. Sie verpackt ihre immergleichen Emulsionen aus Fett und Wasser in immer fantasievollere Hüllen mit immer weniger Fassungsvolumen. Damit signalisiert sie Wert und Luxus. Hochwertige Parfümerietüten, Klarsichthüllen, Umverpackungen, Keramiktiegel, alles gehört zur Schlachtausrüstung. Selbst wenn der Cremetopf versiegelt und verschweißt wäre - Verbraucherumtragen zeigen, dass stets ein Um- und Umumverpackung gewünscht wird. Nicht wegen der Hygiene, sondern wegen des demonstrativen Luxus. Umweltschutz bitte nur beim Joghurtbecher. Der gute alte Tiegel wird immer noch bevorzugt, auch wenn ein Dispenser, oder deutsch: Spender, viel hygienischer ist und der Cremeinhalt darin mit weniger Konservierungsstoffen auskäme.

Die Emulsion aus Wirtschaft, Wissenschaft und Medien ist immer noch eine lukrative Kosmetikgrundlage , die aus Abhängigkeit, Zwecksymbiose und minimalinvasiver Korruption hergestellt wird. Ohne bezahlende Wirtschaft könnte die Wissenschaft nicht forschen, ohne medial fabulierende Propaganda könnte die Wirtschaft nicht verkaufen, ohne immer neue Produkte hätte die Frauenpresse (und zunehmend die Männerpresse) nichts zu berichten. Dieses ganze Brimborium trifft bei der Kundschaft auf offene Ohren - nährt es doch die in jedem schlummernde irrationale Hoffnung, den unvermeidlichen Lauf der Zeit irgendwie austricksen zu können !

Text: Katrin Wilkens Fotos Markus Tollhopf
Quelle: Zeitwissen 1/2005. Rubrik: Gesundheit

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Rubrik: Sonstiges
Zielgruppe: Alle
Presse-Nr.: N91

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